Mein Leben als Frau in Indien: Göttin vieler Tugenden, nur nicht des Reichtums
Es stimmt, dass meine Mutter dem gesellschaftlichen Anspruch, eine "Superfrau" zu sein, stark entgegensteht, dennoch hat meine Mutter kaum Anerkennung für ihre Bemühungen erhalten.
India, Southern Asia
Eine Geschichte von Charu Thukral. Übersetzt von Veronica Burgstaller
Veröffentlicht am October 27, 2020.
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Weißt du, wie ein Eisennagel seine Form erhält? Er wird wiederholt gehämmert, wenn er heiß ist, bis er die Form und Größe hat, die der Schmied sich erwünscht. So wurde ich, zusammen mit Millionen anderer Kinder, geformt, um den Vorstellungen von Geschlechtern zu entsprechen, die die Vorherrschaft von Männern über Frauen definieren. Die Form dieses Nagels nach Jahren zu ändern, ist schwierig, aber durch beharrliches Hämmern möglich.
In Indien werden Frauen als Göttinnen mit unterschiedlichen Tugenden verehrt. Zum Beispiel gibt es Lakshmi für Reichtum, Saraswati für Wissen, Parvati für Freundlichkeit und Kali als Zerstörerin des Bösen. Beim Besuch eines durchschnittlichen indischen Haushalts[1] wird jedoch deutlich, dass von einer Frau erwartet wird, alle Tugenden außer Reichtum zu beherrschen. Der Trend ändert sich zwar, aber der Wandel ist langsam. In Indien sind nur 26 % der Frauen Teil der Erwerbsbevölkerung und überraschenderweise ist die Zahl seit 2005 (36,5 %) zurückgegangen[2].
Unabhängig von ihrer Beschäftigung in der Arbeitswelt wird von der Frau erwartet, dass sie die Hauptverantwortliche für die Hausarbeit wie Kochen, Putzen, Kindererziehung und andere solche "undankbaren" und unbezahlten Aufgaben ist.
Ich komme aus einer modernen Familie der Mittelklasse, welche noch konservativen Gedanken zu bestimmten Aspekten hat. Die Vorstellung, dass Frauen keine bezahlte Arbeit verrichten können, gehörte nicht zu diesen Gedanken. Seit ich ein Kind war, habe ich gesehen, wie meine Mutter meinem Vater im Geschäft geholfen hat. Obwohl sie einen Master-Abschluss in Hindi und Sanskrit hatte, wurde sie für meinen Vater zur Buchhalterin. Während sie mit Zahlen und neuen Konzepten kämpfte, stand sie unter dem Druck der Familie, auch den Haushalt zu führen. Irgendwann machte sie sowohl ihre Hausaufgaben als auch unsere, während sie die Erwartungen einer großen gemeinsamen Familie erfüllte.
Es stimmt, dass meine Mutter dem gesellschaftlichen Anspruch, eine "Superfrau" zu sein, stark entgegensteht, dennoch hat meine Mutter kaum Anerkennung für ihre Bemühungen erhalten. Selbst heute, nach 20 Jahren, in denen sie das Geschäft leitete und die Mitarbeiter führte, hat ihre Meinung in geschäftlichen Angelegenheiten wenig Wert. Ihr Geschlecht bestimmt und dominiert immer noch ihr Leben und zwingt sie dazu, mitten in der Mahlzeit aufzustehen, nur um meinem Vater ein Glas Wasser zu servieren, während er am Tisch sein Mittagessen genießt. Es ist jedoch wichtig zu verstehen, dass dies nicht daran liegt, dass mein Vater chauvinistisch ist, sondern daran, dass die Gesellschaft meinen beiden Eltern ihre Rollen und Ränge beigebracht hat.
Ändert sich die Situation zwischen verschiedenen Einkommensklassen? Definitiv nicht. Meiner Meinung nach ist die Vorstellung, dass die Geschlechterrollen kulturell gebunden sind, gesellschaftlich unvermeidlich. In einer anderen Geschichte erzählte mir meine Köchin (die auch meine Freundin ist) von ihrer Schwester, die, anders als von ihrer Familie erwartet, die ungerechte Behandlung durch ihren Mann nicht verschweigen kann. Diese Frau ist seit 8 Jahren mit ihrem Mann verheiratet und verdient ihr eigenes Geld. Sie ist jedoch der Gnade ihres Mannes ausgeliefert, der ihr "erlaubt", dieses Geld zu verwenden, wo sie will.
Manchmal wendet der Ehemann auch körperliche Gewalt an, um seiner Frau seinen Willen aufzuzwingen. Das Gute daran ist, dass diese Frau nie aufhört für ihre Rechte zu kämpfen. Genau das ist das Gebot der Stunde.
Meine Mutter hält immer noch die Rolle, die ihr als Kind aufgrund ihres Geschlechts gegeben wurde. Das liegt vor allem daran, dass ihr beigebracht wurde, dass dies ihre Rolle als Ehefrau oder/und Mutter ist. Aber Frauen wie die Schwester meiner Köchin sind diejenigen, die den Wandel vorantreiben, indem sie sich gegen die definierten Pflichten aussprechen. Ich glaube fest daran, dass das Aussprechen von Ungerechtigkeiten der erste Schritt zur Veränderung ist. Diese Geschichte hier ist ein solcher Versuch.
Fußnoten
[1] Die Situation mag in den verschiedenen Regionen Indiens unterschiedlich sein. Während die meisten Regionen im Nordosten und Süden Indiens den Frauen mehr Freiheit und Eigenverantwortung zugestehen, sind die zugrunde liegende Kultur und die Erwartungen des Mainstreams an Frauen immer noch vorhanden.
[2] Um darüber mehr zu erfahren: https://www.thehindu.com/business/female-labour-force-participation-in-india-fell-to-26-in-2018-report/article26467857.ece
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