Die Kalligraphie als Medium der Kommunikation und Verbindung zu Menschen
Die Kalligraphie hat für mich, im wahrsten Sinne des Wortes, eine andere Welt eröffnet.
South Korea, Eastern Asia
Eine Geschichte von Choi Lucia. Übersetzt von Veronica Burgstaller
Veröffentlicht am March 12, 2021.
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Ich kann mich noch gut an die Worte meines Vaters erinnern. Er meinte, dass ein guter Schüler jemand ist, der schön schreiben kann und dass das geschriebene Wort mehr Macht hat als gute Noten. So begann mein Interesse an der Schriftform. Ich studiere und betreibe Kalligrafie nun seit 34 Jahren, und wenn mich jemand fragen würde, was Kalligrafie für mich bedeutet, dann ist meine Antwort schlicht und einfach: Kalligrafie ist mein Leben.
Die Kalligraphie hat für mich, im wahrsten Sinne des Wortes, eine andere Welt eröffnet. Sie gab mir die Möglichkeit zu reisen und Menschen aus anderen Ländern zu treffen. Das Unterrichten von Kalligrafie ist für mich zu einem Medium der Kommunikation und Verbindung geworden. Kunst kommuniziert natürlich immer etwas, sei es die unbewusste Natur des Menschen oder politischer Dissens. Aber für mich bedeutet Kalligrafie die Möglichkeit, Gespräche mit Menschen aus verschiedenen Kulturen und Ländern zu führen.
Ich hatte nie erwartet, dass Menschen so freundlich mir gegenüber sind, als ich in fremden Ländern wo ich niemanden kannte, meinen Weg verlor, sei es in Hanoi oder Jakarta. Wenn ich den Leuten jedoch erzähle, dass ich Kalligraphin bin, zeigen sie sofort Interesse. Einmal, als ich mich verlaufen hatte, half mir eine freundliche Frau, und als Dank schlug ich vor, zusammen ein Bier zu trinken. Als wir tranken, bemerkte ich, dass sie ganz dicke Backen hatte. Da erklärte sie mir, dass sie gerade vom Zahnarzt gekommen war! Diese banalen Begegnungen geben mir wertvolle Erinnerungen.
Ich denke, man muss die Chance, die mir durch meine Arbeit gegeben wurde, ins Verhältnis setzen. Ich habe viele Künstler gesehen, die es sich nicht leisten konnten, ihren Träumen zu folgen, und deren Persönlichkeiten unter dem gesellschaftlichen Druck leideten. Auch ich wollte mir früher nur einen Namen machen und genug Geld verdienen, um bequem leben zu können. Ich arbeitete hart bis in die frühen Morgenstunden, und bis meine Finger schwarz von Tinte gefärbt waren. Es wird gesagt, dass in der Joseon-Dynastie die klassischen Gelehrten [1] ihr Leben lang mit Studieren und Philosophieren verbrachten, um Kraft im Geist und im Herzen zu erlangen. Genauso denke ich, dass das Können eines Künstlers unsere innere Kraft sein sollte. Aber das Leben in der Metropole Südkoreas, zwischen Betonblöcken ohne gute Luft und wenig Natur, kann zuweilen erstickend sein.
Für eine lange Zeit habe ich mich gefragt, wie ich freier leben könnte. Ich wechselte von der traditionellen zur kommerziellen Kalligrafie, wo ich mit verschiedenen Schreibstilen experimentieren kann. Später wurde mir klar, dass ich nicht an die Stadt gebunden bin und beschloss, Kalligrafie im Ausland zu unterrichten. Ich reise, mit einem 20 bis 24 kg schweren Rucksack, der, der nicht mit Kleidung, sondern mit Pinseln, Tintensteinen und anderen Kalligrafie-Werkzeugen gefüllt ist. Vielleicht sollte ich mich auch glücklich schätzen, in einer Zeit zu arbeiten, in der die koreanische Kultur im Ausland mehr und mehr an Popularität gewinnt. Ich könnte nicht nach Japan, Australien oder Singapur gehen, wenn meine Fähigkeiten nicht von Kulturzentren und Universitäten gefragt wären. Obwohl das Unterrichten von großen Gruppen bezeigt, dass viele Menschen an Kalligraphie interessiert sind, unterrichte ich genauso gerne nur eine oder zwei Personen, weil ich dann sinnvollere Gespräche führen kann. Manchmal führen die Treffen dazu, dass ich mit anderen Künstlern zusammenarbeite. Zum Beispiel konnte ich zusammen mit einer taiwanesischen Tänzerin, die ich auf einer Reise in Tainan [2] kennengelernt habe, ein Aufführungsstück choreografieren. Die Synergie aus Tanz und Kalligrafie führte zu einer viel kraftvolleren Aufführung.
Natürlich, je älter ich werde, desto weniger wird es für mich möglich sein, wie früher mit einem Rucksack auf dem Rücken herumzureisen. Aber während Covid-19 habe ich gelernt, dass ich Menschen auch durch Videosoftware treffen und unterrichten kann. Ich hoffe, dass ich weiterhin mit Menschen kommunizieren kann, denn nichts ist bedeutungsvoller, als Verbindungen mit anderen Menschen zu machen und Freundschaften über viele Jahre hinweg zu pflegen, und dies hat mir die Kalligraphie ermöglicht. Mein Leben und das Schreiben sind untrennbar. Nichts macht mich glücklicher, als wenn ich etwas von der Freude, die ich beim Schreiben empfinde, mit anderen teilen kann.
[1] seonbi oder klassische Gelehrte der Goryeo und Joseon Dynastie widmeten ihr ganzes Leben dem Lernen. Sie waren überzeugt, dass Erleuchtung durch Bildung erlangt werden kann, und sie versuchten, mit der gewonnenen Weisheit Lösungen für soziale Probleme zu finden
[2] Tainan ist eine Stadt an der südwestlichen Spitze von Taiwan
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